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Die Markiertheitstheorie (auch Natürlichkeitstheorie) ist die These, dass die Beschaffenheit der Sprache sowie sprachliche Prozesse größtenteils natürlich sind. Damit einher geht die Annahme, dass sich auch in Prozessen des Spracherwerbs und des Sprachwandels natürliche Verhältnisse durchsetzen. Grundlegend für diese Theorie ist der Ansatz der [[Prager Schule]], grammatische Kategorien auf bestimmte Merkmalen hin zu untersuchen und Oppositionspaare zu bilden.
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Die Markiertheitstheorie (auch [[Natürlichkeitstheorie]]) ist die These, dass die Beschaffenheit der Sprache sowie sprachliche Prozesse größtenteils natürlich sind. Damit einher geht die Annahme, dass sich auch in Prozessen des Spracherwerbs und des Sprachwandels natürliche Verhältnisse durchsetzen. Grundlegend für diese Theorie ist der Ansatz der [[Prager Schule]], grammatische Kategorien auf bestimmte Merkmalen hin zu untersuchen und Oppositionspaare zu bilden.
  
 
== Begriffsgeschichte ==
 
== Begriffsgeschichte ==

Revision as of 17:08, 16 August 2013

Definition


Die Markiertheitstheorie (auch Natürlichkeitstheorie) ist die These, dass die Beschaffenheit der Sprache sowie sprachliche Prozesse größtenteils natürlich sind. Damit einher geht die Annahme, dass sich auch in Prozessen des Spracherwerbs und des Sprachwandels natürliche Verhältnisse durchsetzen. Grundlegend für diese Theorie ist der Ansatz der Prager Schule, grammatische Kategorien auf bestimmte Merkmalen hin zu untersuchen und Oppositionspaare zu bilden.

Begriffsgeschichte


Die Konzeptualisierung von Markiertheitskorrelationen geht auf das terminologische Paar „merkmaltragend/merkmallos“ zurück, das Nikolai Trubetzkoy 1931 einführt, um phonologische Oppositionen zu beschreiben. Untersucht werden sprachliche Erscheinungen, die sich in nur einem Merkmal unterscheiden (Trubetzkoy 1931). Eine solche privative, eindimensionale Opposition zeigt sich etwa bei der Gegenüberstellung der Phoneme /y/ und /i/. Das Phonem /y/ trägt das Merkmal „gerundet“; das Phonem /i/ trägt dieses Merkmal nicht. Roman Jakobson überträgt dieses Konzept auf die Semantik morphologischer Kategorien. Das Wortbildungsmorphem „-in“ verleiht dem Lexem „Eselin“ das Merkmal der Weiblichkeit. Das Lexem „Esel“ trägt dieses Merkmal nicht. In den 1960er Jahren zeigt Joseph Greenberg auf, dass Kontrastpaare linguistischer Kategorien wie „stimmhaft/stimmlos“ in allen Sprachen der Welt existieren und solche Asymmetrien in Phonologie, Grammatik und Lexikon zu beobachten sind (Greenberg 1966: 9f.). Hierbei setzt er „marked/unmarked“ mit „less frequent/more frequent“ gleich. Greenberg proklamiert, dass für jedes Kategorienpaar universal (in allen Sprachen) das unmarkierte Glied die Unmarkiertheits-Eigenschaften aufweist. Später geht er nicht mehr von einer binären Opposition aus, sondern von einem Kontinuum, das sich von „maximal unmarkiert“ bis „maximal markiert“ erstreckt. Beim Vergleich zweier Kategorien erweist sich stets eine markierter als die andere. Noam Chomsky und Morris Halle setzen den Begriff der Natürlichkeit als Gegenpol zur Markiertheit (Chomsky/Halle 1968), woran Willi Mayerthaler und Wolfgang Ullrich Wurzel anknüpfen.

Systemunabhängige Natürlichkeit nach Mayerthaler

Willi Mayerthaler untersucht morphologische Strukturen und stellt Unterschiede in Hinblick auf ihre Natürlichkeit fest. Natürlich ist ein morphologischer Prozess dann, wenn er früh erlernt wird, weit verbreitet und gegenüber Sprachwandel relativ resistent ist. Eine morphologische Struktur ist umso natürlicher, je weniger markiert sie ist und umgekehrt (Mayerthaler 1981a). Mayerthaler grenzt des Weiteren die Bezeichnungen „markiert“ und „merkmalhaft“ eindeutig voneinander ab, nachdem es zuvor häufig zu terminologischen Schwierigkeiten gekommen war. Chomsky etwa hatte beides noch mit dem englischen Attribut „marked“ bezeichnet. „Markierter“ nennt Mayerthaler nun sprachliche Erscheinungen, die relativ komplexer für das menschliche Gehirn sind (Mayerthaler 1981a). Stärker markierte grammatische Erscheinungen belasten die menschliche Sprachkapazität mehr als weniger markierte. Es wird somit ein Kontinuum eröffnet, dessen Pole die Bezeichnungen „markiert“ auf der einen und „natürlich“ auf der anderen Seite bilden. „Merkmalhaft“ hingegen können nach Mayerthaler sprachliche Realisierungen grammatischer Kategorien sein. Im Unterschied zu Chomskys phonologischen Markiertheitsüberlegungen sind Markiertheitswerte nicht innergrammatisch, sondern entstehen durch Bewertungsprozeduren der Sprecher. Mayerthaler unterscheidet zwischen semantischer Kategorienmarkiertheit, Symbolisierungsmarkiertheit sowie morphologischer Markiertheit. Die Markiertheit einer semantischen Kategorie ist demnach umso stärker, je deutlicher die Kategorie prototypische Sprechereigenschaften widerspiegelt. Prototypische Sprechereigenschaften sind die Seinsverhältnisse, die ein Sprecher in einer Art Grundform aufweist: Der Sprecher ist in dieser ‚Grundform‘ „BELEBT“, weshalb das Seinsverhältnis „unbelebt“ als markiert gelten kann. Natürlich ist demnach auch die Eigenschaft „HUMAN“, weshalb die Eigenschaft „sächlich“ markiert sein muss. Mayerthalers Einteilungen betreffen auch konkrete grammatische Kategorien. So sind „SINGULAR“, „INDIKATIV“ und „AGENS“ natürliche Seinsverhältnisse; ihre Antonyme „Plural“, „Konjunktiv“ und „Patiens“ hingegen können als markiert gelten. Die 1. Person ist also weniger markiert als die anderen Personen, das Präsens als die nichtpräsentischen Tempora etc.

Die Markiertheitsverhältnisse werden empirisch ermittelt. Hierbei werden etwa der Erwerb, die Perzeption und Produktion von Sprache in den Blick genommen oder Sprachkontakt und -wandelerscheinungen beobachtet. Was früher erworben, leichter perzipiert und produziert werden kann sowie gegenüber sprachkontakt- oder wandelbedingten Abbauphänomenen resistent ist, kann als unmarkierter, als weniger komplex für das menschliche Gehirn angesehen werden. Sprachliche Kategorien werden auf der Basis dieser empirischen Befunde bewertet, wodurch ihnen bestimmte sem-Werte zugeordnet werden können.

Hiervon zu unterscheiden ist die Symbolisierungsmarkiertheit. Eine Symbolisierung ist dann optimal, also maximal natürlich, wenn sie konstruktionell ikonisch, uniform und transparent ist. Mit „konstruktionell ikonisch“ ist hier gemeint, dass die Komplexität der Symbolisierung der Kategorienmarkiertheit entspricht. Das, was semantisch komplexer ist, sollte also auch merkmalhafter kodiert werden. Da etwa der Komparativ semantisch komplexer als der Positiv ist, bedarf seine Symbolisierung, beispielsweise 〈größer〉, mehr sprachlichen Materials als die des Positivs, im genannten Beispiel 〈groß〉. Die Symbolisierung des Komparativs ist modulatorisch (der Hinterzungenvokal [o] wird zum Vorderzungenvokal [ø]) sowie additiv (durch Anhängen von -er) merkmalhafter. Mit Uniformität bezeichnet Mayerthaler das Prinzip der uniformen Kodierung (one meaning – one form). Demnach ist das Paradigma 〈amicus〉 im Lateinischen uniform, da gemäß der lateinischen Stammflexion das Basismorphem in allen Flexionsformen /amik/ lautet. Nicht uniform wäre hingegen 〈amico〉 im Italienischen, da das Basismorphem des Singulars /amik/, das des Plurals 〈amici〉 aber /amič/ lautet. Transparent, beziehungsweise monofunktional ist eine Kodierung, wenn sie eindeutig ist. Das Präteritalparadigma von 〈schlagen〉 etwa ist hinsichtlich der Moduskodierung transparent. Der Indikativ lautet 〈sie schlugen〉, der Konjunktiv 〈sie schlügen〉. Das Paradigma von 〈laufen〉 ist hier nicht transparent, da 〈sie liefen〉 eine indikativische wie auch eine konjunktivische Form darstellen kann. Wenn alle drei Vorgaben erfüllt sind, ist eine Symbolisierung unmarkiert. Sprachliche Symbolisierungen werden auf der Basis solcher Beobachtungen bewertet, wodurch ihnen bestimmte sym-Werte zugeordnet werden können.

Von der Kategorien- und Symbolisierungsmarkiertheit leitet sich die morphologische Markiertheit ab. Wenn eine semantisch unmarkierte Kategorie ebenso unmarkiert symbolisiert wird, dann ist auch die resultierende Form unmarkiert. Die Form weist in diesem Fall einen niedrigen Markiertheitswert auf. Wird sie hingegen markiert symbolisiert, ist auch die resultierende Form markiert.

Markiertheitstheorie und Sprachwandel


In Bezug auf Sprachwandel lautet Mayerthalers Grundannahme: Markiertes >m wird zu weniger Markiertem <m. Sprachwandel verläuft demnach immer in Richtung des Abbaus von Markiertheit. Wurzel führt dies vor allem darauf zurück, dass weniger markierte grammatische Erscheinungen von den Sprechern leichter erworben, verwendet und demzufolge (unbewusst) präferiert werden (Wurzel 1994: 35). Beispielsweise gilt gemäß der Markiertheitstheorie, dass „IBI“ im Vergleich mir „hic“ weniger markiert ist, da der Mensch das ihm Entgegenstehende früher perzipiert als seine eigene Person. Nach der Natürlichkeitstheorie sollte also das relativ markiertere „hic“ zugunsten des natürlicheren „IBI“ verschwinden. In diversen Sprachen wurde dies realisiert. Im Französischen etwa setzt sich die deiktische Ergänzung 〈là〉 zunehmend gegen 〈ci〉 durch. 〈cela〉, beziehungsweise 〈ça〉weist im Vergleich mit 〈ceci〉eine expandierende Verbreitung auf. Auch im Bairischen findet sich ein Beleg für das Verhältnis IBI:hic➛IBI. „IBI“ wird statt mit 〈hier〉oft mit 〈da〉 kodiert. So fragt ein Sprecher des Bairischen im Geschäft nicht, ob der Verkäufer ein gewünschtes Produkt noch 〈hier〉hat. Mit großer Wahrscheinlichkeit fragt der Sprecher stattdessen, ob der Verkäufer den Artikel noch 〈da〉habe. Für alle Fälle solchen paradigmatischen Ausgleichs gilt das unidirektionale, natürlichkeitstheoretische Prinzip >m:<m➛<m.

Natürlichkeitskonflikte

Im Zuge des sprachlichen Wandels kommt es bisweilen zu Natürlichkeitskonflikten. Prinzipien morphologischer Natürlichkeit widerstreben dann außermorphologischen Prinzipien, häufig denen phonologischer Natürlichkeit. Im Falle des o.g. Beispiels 〈amici〉 im Italienischen setzte sich das phonologische Prinzip, dass /k/ vor /i/ palatalisiert wird, gegenüber einer morphologischen Natürlichkeit, also uniformer Kodierung durch. Auch gibt es Konflikte innerhalb der morphologischen Prinzipien. Mayerthaler nimmt hier eine Hierarchisierung dieser Prinzipien vor. Wenn sich das Prinzip des konstruktionellen Ikonismus und das der uniformen und transparenten Kodierung entgegenstehen, setze sich ersteres meist durch. So geschehen im Übergang vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen: Während die 2. Person Singular des Imperativs starker Verben im Mittelhochdeutschen merkmallos symbolisiert wurde, wies diese Verbform bei den schwachen Verben das Imperativsuffix -e auf. Da die 2. Person Singular des Imperativs unmarkiert ist, war zu erwarten, dass dieses Imperativsuffix gemäß dem konstruktionellen Ikonismus auch bei den schwachen Verben wegfällt. Im Neuhochdeutschen ist es nun tatsächlich im Schwinden begriffen, obschon ein systematisch einheitliches Imperativsuffix -e eine uniforme und transparente Kodierung ermöglicht hätte.

Systembezogene Natürlichkeit nach Wurzel


Mit Mayerthalers Ansatz zur morphologischen Natürlichkeit lassen sich Markiertheitswerte begründen und Sprachwandelphänomene erklären. Wurzel macht allerdings darauf aufmerksam, dass viele Wandelerscheinungen Mayerthalers Natürlichkeitskonzept entgegenstehen. Die obliquen Kasus beispielsweise müssten nach Mayerthaler aufgrund ihrer höheren semantischen Komplexität gemäß dem konstruktionellen Ikonismus auch merkmalhafter kodiert werden als der Nominativ. Doch gerade diese merkmalhafte Kodierung durch die Kasussuffixe tendiert gegenwärtig zum Abbau, etwa bei 〈dem/den Dirigenten〉 ➛ 〈dem/den Dirigent-ø〉 oder bei 〈dem/den Bären〉 ➛ 〈dem/den Bär-ø〉 (Wurzel 1994). Wurzel führt den Begriff der Systemangemessenheit in die Markiertheitstheorie ein und verknüpft die Frage, was als markiert oder unmarkiert gelten kann, mit den spezifischen Struktureigenschaften des Flexionssystems einer Sprache. Wurzel beschreibt fünf Eigenschaften, hinsichtlich derer sich alle Sprachen positionieren:

1. Welches Inventar von Kategoriengefügen weist die Sprache auf?

2. Weist die Sprache Grundform- oder Stammflexion auf?

3. Wird jede Kategorie separat symbolisiert oder werden mehrere Kategorien in einem Flexionselement kombiniert?

4. Durch welche Markertypen (etwa Präfixe oder Suffixe) werden die Kategorien symbolisiert?

5. Verfügt die Sprache über Flexionsklassen oder nicht?



Wurzel ist sich durchaus der Tatsache bewusst, dass die meisten Flexionssysteme hinsichtlich dieser Parameter uneinheitlich aufgebaut sind, also Struktureigenschaften innerhalb eines Parameters miteinander konkurrieren. Er verweist aber darauf, dass stets eine Struktureigenschaft dominiert und somit das Flexionssystem hinsichtlich dieses Parameters definiert. Durch diese Struktureigenschaften ergibt sich so etwas wie die Identität eines Flexionssystems. Nur auf der Grundlage einer solchen Identität kann man Markiertheitsbewertungen für eine Einzelsprache vornehmen. Systemangemessenheit ist also eine Form der morphologischen Natürlichkeit (Wurzel 1994). Die Systemangemessenheit tritt als weitere Instanz zu Natürlichkeitskonflikten hinzu. Die o.g. systemunabhängigen Markiertheitsprinzipien (konstruktioneller Ikonismus, Uniformität, Transparenz) bestimmen also nur dann Sprachwandelerscheinungen, wenn die Entwicklung gegenüber der Systemangemessenheit neutral oder ihr zuträglich ist. Des Weiteren wird in Sprachen mit Flexionsklassen die morphologische Klassenzugehörigkeit der Wörter aus den außermorphologischen Eigenschaften bestimmt. Zu welcher Flexionsklasse ein Lexem gehört ist also nicht arbiträr, sondern ergibt sich aus den außermorphologischen Eigenschaften, die die Sprecher dem Lexem zuordnen. Die Teilklasse der belebten Maskulina auf [-ə], beispielsweise 〈Matrose〉oder 〈Hase〉, enthält etwa sämtliche Wörter mit der Eigenschaften [+belebt] und der Endung [-ə]. Dadurch ist diese Flexionsklasse stabil, verliert also keine Wörter sondern gewinnt neue, etwa Entlehnungen, hinzu. Die Klasse der schwachen Maskulina, die auf Konsonant oder Gleitlaut ([j], [w] oder [h]) auslauten, ist hingegen sehr viel kleiner und verliert Wörter an die Klasse der starken Maskulina. Da diese Klasse keine neuen Wörter hinzugewinnt und stattdessen Wörter wie 〈der Pfau〉 verliert (alte Pluralform: 〈die Pfau-en〉; neue Pluralform: 〈die Pfau-e〉), kann diese Klasse als instabil bezeichnet werden. Aufgrund der quantitativen Verhältnisse der Flexions(teil)klassen präferieren die Sprecher nun also die Einordnung in die stabile Klasse. Eine solche Zuordnung ist unmarkiert. Die Zuordnung zu einer instabilen Klasse kann hingegen als markiert gelten. 
Auch das Prinzip der präferenten Flexionsklassenzugehörigkeit setzt sich im Konfliktfall gegen Mayerthalers systemunabhängige Natürlichkeitsprinzipien durch, nicht jedoch gegen das Prinzip der Systemangemessenheit. Substantive wie 〈der Onkel〉 tendieren zu Flexionsformen, die den Plural durch ein Flexiv am Wort symbolisieren, also 〈die Onkel-s〉, obschon die Klasse der Maskulina auf 〈-el〉, 〈-en〉, 〈-er〉 stabil ist, weil die Pluralsymbolisierung am Wortende im Deutschen systemangemessen ist.

Wurzel gelingt es, zunächst als Ausnahmen von der Markiertheitstheorie behandelte Erscheinungen zu erklären. Wird etwa der Dativ von 〈Bär〉 zunehmend am flektierenden Artikel statt durch das Flexionssuffix 〈-en〉 angezeigt, spricht das also nicht gegen die These, dass Markiertheitsabbau das Regulativ von Sprachwandelprozessen ist. Gerade weil die Entwicklung in Richtung der Artikelflexion für das Deutsche systemangemessen ist, kann es als eine Entwicklung hin zu weniger Markiertheit angesehen werden.

Markiertheitsumkehrung

Unter bestimmten Umständen kann man beobachten, dass sich sprachliche Erscheinungen, die eigentlich unmarkiert sind, ein markiertes ‚Verhalten‘ aufweisen. So setzen sich in sprachlichen Wandelerscheinungen, etwa paradigmatischem Ausgleich, bisweilen die Symbolisierungen markierter Kategorien gegen die der unmarkierten Kategorien durch. Beispielsweise ist lat. 〈las〉 „der Hausgott“ als Symbolisierung des Singulars gegenüber der Form des markierteren Plurals lat. 〈lares〉 die Ausgangsbasis für paradigmatischen Ausgleich. Man sollte also erwarten, dass der Singularform eine neue Pluralform lat. 〈*lases〉 zur Seite gestellt wird. Tatsächlich eingetreten ist allerdings eine Veränderung der Singularsymbolisierung zu lat. 〈lar〉. Anhänger der Markiertheitstheorie erklären solche ihrer Theorie scheinbar widerstrebenden Fälle mithilfe einer Markiertheitsumkehrung. Demnach existiert in solchen Fällen ein markierter Kontext, durch den sich die Markiertheitswerte umkehren. Für das genannte Beispiel besteht der markierte Kontext in der Tatsache, dass lat. 〈las〉 ein Beinahe-Pluraletantum ist. Lat. 〈las〉 „der Hausgott“ kommt im Singular weit seltener vor als die Pluralform lat. 〈lares〉, da in der römischen Mythologie Hausgötter fast nur in der Mehrzahl auftreten. Innerhalb eines markierten Kontextes tragen die semantischen Kategorien also sem-Werte mit umgekehrten Vorzeichen (Wurzel 1984).

Kritik an der Markiertheitstheorie

Eine Kritik an der Markiertheitstheorie ist, dass sie zirkulär argumentiert. Wenn auf der einen Seite die Merkmalhaftigkeit eines sprachlichen Phänomens als Bedingung für seine Markiertheit / Unnatürlichkeit angesehen wird, ist es nicht zulässig, auf der anderen Seite mit dem konstruktionellen Ikonismus zu begründen, dass das Phänomen aufgrund seiner Unnatürlichkeit ein ‚Mehr‘ an Kodierung aufweist. Dieser Einwand bezieht sich vor allem auf die Sprachverwirrung ob zu unterschiedlicher Definitionen des Begriffs ‚Markiertheit‘. Wird Markiertheit allerdings, wie bei Mayerthaler, als Gegenpol zu einer Natürlichkeit gesetzt, die aus empirisch begründeten, prototypischen Sprechereigenschaften hervorgeht, entgeht die Markiertheitstheorie der Gefahr der Zirkularität.

Martin Haspelmath spricht sich dennoch gegen den Begriff der Markiertheit und eine natürlichkeits-theoretische Erklärung sprachlicher Phänomene aus. Die meisten Asymmetrien, die sich in Sprachen finden lassen, erklärt er mit Rückgriff auf die Frequenz der Opponenten. Haspelmath untersucht die Kontexte, in denen der Terminus ‚Markiertheit‘ beziehungsweise ‚markedness‘ in linguistischen Forschungstexten verwendet wird. Er befindet den Terminus für höchst polysem und macht zwölf verschiedene Bedeutungen von ‚markedness‘ aus. Er subsumiert sie unter vier Oberbegriffe: „Markedness as complexity, as difficulty, as abnormality, and as a multidimensional correlation“ (Haspelmath 2005). Komplexität einer Kodierung heißt etwa, dass der Plural mittels mehr sprachlichen Materials kodiert wird als der Singular. Dem entspricht also das ‚Mehr‘ an Konstruktion in Mayerthalers konstruktionellem Ikonimus. Haspelmath macht sich dafür stark, in Kontexten, in denen ‚markiert‘ im Sinne von ‚overtly coded‘ also ‚offen und sichtbar kodiert‘ verwendet wird, die sprachliche Erscheinung auch einfach als ‚kodiert‘ zu bezeichnen. Ebenso sei Makiertheit in der Bedeutung ‚(Artikulations-)schwierigkeit‘ weit von der vom Linguisten intendierten Bedeutung entfernt. Anstatt auf das Konzept der Markiertheit zurückzugreifen, durch die eine Äußerung komplexer oder einfacher für das menschliche Gehirn (Mayerthaler 1981) wird, sei es angemessener, von phonetischer Schwierigkeit oder „regularity of sound change“ (Haspelmath 2005: 6) zu sprechen. Auch von natürlicheren und weniger natürlichen Sprachphänomenen auszugehen, die dadurch Uniformität und Transparenz aufweisen / nicht aufweisen, lehnt Haspelmath ab. All diese Erscheinungen könnten durch Sprachwandelregularitäten oder Frequenz-bedingte Faktoren erklärt werden. Markiertheit in der Bedeutung von ‚Seltenheit‘, ‚Atypie‘ oder ‚Abnormalität‘ könne genauso durch (text-)frequenzielle Unterschiede erklärt werden. Die Vorstellung, dass eine Äußerung abnormal ist – etwa die Aussage, etwas liege auf der Box anstatt in der Box – sei allein durch die Textfrequenz der beiden Aussagen zu erklären. Sowohl in Bezug auf merkmaltragende / merkmallose Elemente einer Einzelsprache, als auch ‚Abnormalität‘ einer Sprechsituation betreffend reiche der Begriff der Textfrequenz zur Beschreibung aus. „Against markedness“ bringt Haspelmath den Terminus der ‚frequency of use‘, der ‚Gebrauchsfrequenz‘ in Stellung. Die explanatorische Kraft, die diesem Terminus innewohne, ermögliche es unter anderem, die Idee des konstruktionellen Ikonismus zu verwerfen:

Constructional iconicity essentially means that „what is 'more semantically' should also be 'more constructionally' […]. [But] the basic generalization is easily explained by economy: What is used more frequently is shorter in any rational communication system. No appeal to an iconicity principle is needed. (Haspelmath 2005: 29)


Mithilfe der Gebrauchsfrequenz werde des Weiteren die Korrelation zwischen Signal-Länge und Signal-Frequenz in allen semiotischen Systemen hinreichend erklärt. Dabei sei der Terminus ‚Gebrauchsfrequenz‘ sehr viel flexibler als der der ‚Markiertheit‘. Die englische Berufsbezeichnung für Männer, 〈priest〉, beinhaltet zum Beispiel gegenüber derselben für Frauen, 〈priestess〉, weniger sprachliches Material, wohingegen bei der Opposition engl. 〈male nurse〉 / 〈nurse〉 die männliche Berufsbezeichnung länger sei. In der Markiertheitstheorie müssen solche Phänomene umständlich mit Markiertheitsumkehrung in markierten Kontexten erklären. Bedient sich der Linguist hingegen der Gebrauchsfrequenz, sei die Begründung evident: Das Priestertum ist im Gegensatz zum Krankenpflegedienst eben ein von Männern dominierter Beruf; die Bezeichnung für männliche Vertreter dieser Zunft weist also eine höhere Token-Frequenz auf als die für weibliche. Bei 〈nurse〉 und 〈male nurse〉 ist es umgekehrt.

Literatur

Chomsky, Noam; Morris Halle. 1968. The sound pattern of English. New York: Harper & Row.

Greenberg, Joseph Harold. 1966. Language universals. La Hague: Mouton.

Haspelmath, Martin. 2005. Against markedness (and what to replace it with). Journal of Linguistics 42. 25–70.

Mayerthaler, Willi. 1981. Warum historische Linguistik. Klagenfurter Beiträge zur Sprachwissenschaft 7. 19–38.

Trubetzkoy, Nikolai Sergejewitsch. 1931. Die phonologischen Systeme. Traveaux du Cercle Linguistique de Prague 4. 96–116.

Wurzel, Wolfgang Ullrich. 1984. Flexionsmorphologie und Natürlichkeit: ein Beitrag zur morphologischen Theoriebildung. Berlin: Akademie-Verlag.

Wurzel, Wolfgang Ullrich. 1994. Skizze der natürlichen Morphologie. Papiere zur Linguistik 50. 32-50.